Armut

Was ist unser Anteil an Terror und Amokläufen?

Vor wenigen Wochen fand eine so nie dagewesene Serie von Anschlägen statt. Am Sonntag gab es einen neuen Bombenanschlag eines offensichtlich fundamentalistisch islamistisch motivierten Einzeltäters in Ansbach. Am Dienstag haben Islamisten in Saint-Etienne-du-Rouvray einem Priester, der stets Kontakt mit islamischen Gemeinden und ganz sicher kein Islam-Hasser war, die Kehle durchgeschnitten.  Am Freitag lief in München ein Deutsch-Iraner ohne islamistischen und ohne Flucht-Hintergrund Amok und erschoss 9 Menschen, anschließend sich selbst. Die Polizei leistete ausgezeichnete Arbeit und tat genau das, was getan werden musste.  Bei Würzburg ging ein angeblich 17jähriger mit der Axt auf arglose Passagiere los. Wir fühlen mit den Angehörigen der Opfer. Und wir fragen uns, was mit dieser Welt los ist.

Nach dem 11. September, nach den Terroranschlägen in Barcelona oder gegen Charly Hebdo konnte unsere politische Riege noch behaupten, man könne Terrorismus bekämpfen, indem man Kriege gegenfremde Länder führt und die totale Überwachung im Internet ausweitet. So sollen Terroristen getötet und auffällige Verhaltensmuster im Vorfeld entdeckt werden. Spätestens seit den jüngsten Anschlägen in Nizza, Ansbach und Würzburg sowie auch dem Amoklauf in München aber wird klar: wir können vielleicht Krieg und Kontrollzwang ausweiten aber wir werden niemals vorauserkennen können, wenn sich eine Person entscheidet, mit einem LKW in eine Menschenmenge zu fahren oder sich eine Axt aus dem Schuppen zu holen und auf unschuldige Menschen loszugehen. Kontrollwahn und Gewalt sind nicht die Lösung für Terrorismus und Gewalt.

Solange wir glauben, wir könnten unser Leben und unsere sogenannten westlichen Werte hauptsächlich mit Panzern, Kampfhubschraubern und Drohnen verteidigen, werden wir keine Ruhe bekommen. Peter Vonnahme

Die weltweite Situation ist inzwischen so eskaliert, dass es nicht mehr ohne Schutz mit Waffen und intensive Polizeiarbeit geht, soviel ist klar. Aber:

Hauptgründe für das Ausufern von Gewalt (auch in Form von Fußball-Hooliganismus und Amokläufen) und Terror sind nicht eine zufällige Entwicklung oder eifach durch Anstifter verursacht. Der Grund ist auch nicht, dass Menschen von Haus aus bösartig wären, denn wenn das der Fall wäre, wäre die Gewalt konstant, würde nicht gerade jetzt wachsen. Der Hauptgrund dafür ist im Globalen, dass „der Westen“, gegen jegliche Werte verstößt, die er zu verkörpern verspricht, seine Glaubwürdigkeit verloren hat und erntet was er säht. Es trifft jedoch nicht die Verursacher sondern die Unschuldigen.

Als nach 2001 Krieg gegen Afghanistan geführt wurde, weil dort an einigen wenigen Orten und ohne offizielle Unterstützung der dortigen Regierung, Terroristen ausgebildet wurden, war das völkerrechtswidrig und fragwürdig. In gewissem Sinn aber noch verständlich, wenn man von Unbesonnenheit ausgeht. Der direkt folgende Irak-Krieg jedoch, das ist inzwischen doch anhand des Chilcot Reports sehr eindeutig nachgewiesen, hatte rein gar nichts mit Terrorismus oder Massenvernichtungswaffen zu tun. Der Krieg war vielmehr bereits von langer Hand geplant, um der Ölreserven der Region habhaft zu werden. Dank einigen Wenigen, die sich das Durchstöbern des 6275 Seiten starken Reports angetan haben, wird das fundiert.

Der britischen Regierung war darüber hinaus schon vor dem Krieg klar, dass die irakische Bevölkerung sie keineswegs als uneigennützigen Befreier betrachtete. Ein Jahr vor Kriegsbeginn informierte das Außenministerium Tony Blair in einer Analyse darüber, dass „alle Informationen aus der Region zeigen, dass die Koalitionstruppen nicht lange, wenn überhaupt, als Befreier gesehen werden“. Vielmehr würden die eigenen Motive dort „mit großem Misstrauen“ betrachtet. Die Besetzung des Irak werde mit der Zeit immer unpopulärer werden und auch „die Legalität immer fraglicher“, so das Dokument aus dem Januar 2002. (Chilcot Report, Band 6, Abschnitt 6.5, S. 334f) [Nachdenkseiten]

Das Dokument gibt auch Aufschluss darüber, dass der Irak-Krieg monatelang im Voraus geplant war und wie die öffentliche Meinung manipuliert werden sollte:

In der Fülle von Dokumenten, die zusammen mit dem Chilcot Report veröffentlicht wurden, findet sich auch ein 7-seitiges Schreiben Campbells an Tony Blair sowie seine führenden Minister und Berater vom Dezember 2002 mit dem Titel „Iraq Communications“. Man müsse nun die „Kommunikations-Anstrengungen erhöhen“, so Campbell drei Monate vor Kriegsbeginn.
Kernbotschaft aller Regierungsmitglieder müsse sein, dass „Saddam es in der Hand habe“, ob es zum Krieg komme und dass nun seine „letzte Chance“ gekommen sei, einzulenken, man sich aber weiterhin bemühe, den politischen Prozess fortzusetzen, an der Seite der UNO. Beim Thema UNO sollten die Regierungsmitglieder in ihren öffentlichen Auftritten einen „Ton des Bedauerns“ anschlagen, dass Saddam seine Chance zum Frieden bislang nicht genutzt habe. Was den Krieg selbst angehe, sei die zu vermittelnde Hauptbotschaft, dass er zwar „letztes Mittel“ wäre, man nun aber „den Job erledigen“ würde. Angesprochen auf Pläne für eine Nachkriegsordnung solle man sagen: „Wir sind hier um langfristig zu helfen.“

Werte gelten nur für uns, nicht für andere?

Wenn Kriege aufgrund von Geschäftsinteressen geführt werden und Menschen, wie in Guantanamo, gefoltert werden, wenn US-Drohnen Menschen auf Verdacht töten, ohne Gerichtsverfahren, ohne Rechtsgrundlage, dann kann niemand in diesen Regionen daran glauben, dass „der Westen“ nach Werten handelt. Der Eindruck der Bevölkerung dort ist: Menschenrechte gelten für Europäer und Amerikaner nur für ihresgleichen.

Wir sind geschockt von den vielen Terroranschlägen und Amokläufen. Doch allein durch US-Drohnen wurden seit 2009 laut Barrack Obama bis zu 116 unschuldige Zivilisten getötet. Der Guardian geht von bis zu 1147 Opfern aus. Im Afghanistan- und Irak-Krieg kamen mindestens 150.000 unbeteiligte Zivilisten um’s Leben. Hunderte Menschen in den arabischen Ländern wurden von US-Geheimdiensten und Soldaten gefoltert. Selbst das Antrittsversprechen Obamas, Guantanamo zu schließen ist bis heute nicht erfüllt. Wenn wir etwas gegen den Terror in unserem Land tun wollen, dann müssen wir auch „unseren“ Terror gegenüber anderen Ländern beenden. Wobei „unserer“ das ist, was andere, angeblich in unserem Namen, tun.

Wir verteidigen Leben und Demokratie, nehmen aber gleichzeitig hin, dass tausende Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken. Und in Europa sind allein 2016 mindestens 10.000 Flüchtlingskinder verschwunden – mindestens zu einem Teil sind kriminelle Strukturen dafür verantwortlich. Dabei geht es um ganz dunkle Machenschaften wie Kinderprostitution und Organhandel. Wie entschlossen gehen die Behörden dagegen vor?

Mit Volksabstimmung hätte es keinen Irak-Krieg gegeben

Gäbe es in Europa von den Bürgern initiierte Volksabstimmungen, dann hätte es wahrscheinlich keinen Irak-Krieg gegeben, mindestens aber keine Europäische Unterstützung dafür. In Spanien waren 90% der Bevölkerung dagegen, in Deutschland und vielen anderen Europäischen Ländern gab es eine klare Mehrheit gegen den Krieg. Viele US-Amerikaner gingen auf die Straße und sagten „Not in our name“ – nicht in unserem Namen!

Ohne Irak-Krieg gäbe es mindestens drei diese Anschläge nicht

Der Irak-Krieg war die Ursache für die Gründung des IS. Beide  Kriege haben dafür gesorgt, dass Extremisten und Terroristen überall Zulauf bekamen. Der Afghanistan-Krieg sollte den Terror besiegen. Heute aber finden eklatant mehr terroristische Anschläge statt wie jemals zuvor. Und niemand braucht sich darüber zu wundern. Die Zeche zahlen die Unschuldigen – in Frankreich, Deutschland und anderswo. Frauen, Kinder, Männer die nie etwas mit den Kriegen oder Morgen zu tun hatten und die nie etwas von den Ölmilliarden gesehen haben um die es in diesen Kriegen ging.

Wir verraten unsere Werte auch im eigenen Land

Armut

Armut – Quelle: Silar @ WikiCommons

Die Täter von Paris waren nicht Extremisten aus dem Irak sondern aus den Slums von Paris. Die sozialen Missstände in unseren eigenen Ländern sind so groß, dass auch bei uns der Extremismus wächst – bei Immigranten genauso wie bei verarmten „Inländern“ ohne Zukunft. Der Attentatstag von Nizza war der 14. Juli, der Tag der französischen Revolution. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sind die Werte, die an diesem Tag gefeiert werden. Sicher hat der Attentäter diesen Tag absichtlich ausgewählt. Was Prof.- Flaßbeck dazu schreibt:

„Wir müssen uns fragen, was wir selbst aus den Werten der Aufklärung gemacht haben. Die Freiheit, keine Frage, haben wir in den Himmel gehoben. Die Freiheit ist jedoch zum Fetisch einer Gesellschaft geworden, die der Gleichheit und der Brüderlichkeit endgültig abgeschworen hat. … Es interessiert diese Gesellschaft nicht, wie viele Menschen zu Hause und in der Welt auf Dauer bettelarm sind und jede Lebensperspektive verlieren. Es interessiert diese Gesellschaft nicht, wenn im Mittelmeer hunderte von Menschen ertrinken, die nichts anderes wollen, als der Perspektivlosigkeit ihrer Heimatländer zu entfliehen. Es interessiert diese Gesellschaft nicht, dass die Kontraste vor der eigenen Haustür von Tag zu Tag größer werden, wo die einen alles dürfen und können und die anderen nichts.“ und weiter: „Sicherheit kann es  nur geben, wenn wir begreifen, dass die zornigen jungen Männer, die so etwas machen, ein Produkt unserer Welt sind. Sie sind nicht Fremde, die das Böse in sich tragen, sondern sie sind ein Produkt und ein Spiegelbild unserer entsolidarisierten „freien“ Gesellschaft.“ https://makroskop.eu/2016/07/der-sinnlose-tod-14-juillet-2016-nice/ 

Gehen wir eine Ebene tiefer: Wir lassen zu, dass unsere Werte verraten werden

Werte oder egoistische Bedürfnisse?

Jeder Mensch hat ein Gerechtigkeitsbedürfnis. Wenn die Schwester ein Eis bekommt, dann will der Bruder auch eins. Oft werden solche Bedürfnisse mit Werten verwechselt. Der Unterschied ist in einem Beispiel schnell erklärt: Wer Gerechtigkeit als Wert lebt, der muss auch für ANDERE ein Eis fordern, wenn er selbst keins bekommt. Und er muss sogar für andere ein Eis fordern, wenn er selbst eins bekommen hat und die anderen nicht.

Ein Wert ist nur, wenn wir der Überzeugung sind, dass etwas richtig ist und wir dieses zu einer generellen Regel machen. Fordern wir den „Wert“ nur für uns ein, ist es in Wirklichkeit nur Egoismus oder die Befriedigung eines Bedürfnisses. Fordern wir den Wert auch für andere ein, wenn wir selbst keine Erfüllung bekommen, ist es möglicherweise nur der Versuch, sein eigenes Bedürfnis dadurch zu rechtfertigen, dass es andere auch haben. Erst wenn wir eine Überzeugung in die Gesellschaft tragen, unabhängig davon ob unser eigenes Bedürfnis befriedigt ist oder nicht, dann ist es ein Wert.

Und hier kommt der Kernpunkt, warum Werte so sichtig sind: Leben wir wirklich Werte, dann sind wir glaubwürdig und stellen in unserer Gemeinschaft Vertrauen her. Und nur wenn wir uns vertrauen, funktioniert auch Führung durch Kompetenz.

Die Lösung: Integrität

Integrität bedeutet, dass unser Verhalten mit dem zusammenpasst, was unsere eigenen Standards sind. Es besteht eine Kongruenz zwischen unseren Werten, dem was wir sagen und dem was wir tun. Nur mit Integrität können wir als Mensch einen stabilen Selbstwert erleben. Und nur mit Integrität können wir Vertrauen zu anderen Menschen schaffen. Verstoßen wir permanent gegen unsere Werte, dann zerstört das das Vertrauen das wir selbst und andere in uns haben. Auf Länderebene ist es auch durchaus möglich, dass politische Führer skrupellos gegen Werte verstoßen, die Auswirkungen der Verstöße aber eher in bestimmten Bevölkerungsschichten spürbar werden. Oder leiden die Mitarbeiter eines Unternehmens an mangelndem Selbstbewusstsein, kann dies daran liegen, dass diese einen täglichen Verstoß gegen die vorgegebenen Unternehmens-Werte erleben.

Integrität des „Westens“ wiedergewinnen

Um das zu verdeutlichen und die Tragweite zu zeigen, hier ein Beispiel aus der internationalen Politik. Als die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 1948 verabschiedet wurde, war das ein Akt, der überall in der Welt Achtung hervorbrachte. Auch in Ägypten, Syrien, der ganzen islamischen Welt wurden die Menschen mitgenommen und brachten dem Westen und seinen Verfassungen, die Menschenrechte garantierten, Respekt entgegen. In so einem Umfeld haben Radikale, Faschisten und Fundamentalisten keinen gesellschaftlichen Rückhalt. Es gibt sie, sie können aber nur abseits der Gesellschaft überleben und sie finden keinen Zulauf, würden früher oder später „aussterben“.

Werte wirklich zu leben würde den Terror auf Dauer stoppen. Um unsere Glaubwürdigkeit und Integrität zurückzugewinnen, könnte wir zum Beispiel damit anfangen, den schlimmsten Verstoß gegen unsere eigenen Werte gegenüber der arabischen Welt juristisch aufzuarbeiten: den Irak-Krieg. So der Vorschlag des ehemaligen Richters Peter Vonnahme und des Journalisten Paul Schreyer.  Vor den sogenannten Anti-Terror-Kriegen war ein Angriffskrieg, und das waren beide, ein Verstoß gegen das Völkerrecht und George W. Bush als auch Tony Blair haben diese gegen alle Vernunft und Warnungen Kriege geführt. Eine integre Staatengemeinschaft UNO sowie die Judikative der Staaten müssten die rechtlichen Konsequenzen prüfen und einleiten.

Perspektiven schaffen

Die Menschen im nahen Osten haben kaum eine Lebensperspektive. Sie flüchten und radikalisieren. Viele Menschen in Deutschland, insbesondere in den „neuen Bundesländern“, genauso aber in Portugal, Griechenland, Spanien, Slums von Frankreich usw. haben auch keine Perspektive. Sie radikalisieren. Ihr gemeinsamer Feind wäre die im Neusprech „liberalistisch“ genannte Lobby, die für Gier alle Ideale und jede Fairness zerstören. Aber sie bekämpfen sich gegenseitig und verüben Anschläge auf unschuldige Menschen.

Die Radikalisierung auf allen Seiten wird aufhören, wenn Menschen wieder Lebensperspektiven haben. Indem geschützte Räume im nahen Osten geschaffen werden, die den Aufbau einer intakten Gesellschaft ermöglichen. Und durch eine vernunftgesteuerte Wirtschaftspolitik im Westen (siehe Radikalismus im Ursprung bekämpfen statt Symptome anprangern), die in zunehmendem Maß lebenswerte Zukunft erzeugt satt Unmengen an Verlierern des „Systems“, Armut Gewalt, Terrorismus und Krieg.

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About CU_Mayer

Über den Autor Nach Beginn im kaufmännischen Zweig studierte Dipl.-Ing. (FH) Christoph Ulrich Mayer, geboren 1968 in Krumbach (Schwaben), Nachrichtentechnik. Er arbeitete mehrere Jahre als Ingenieur und Projektleiter, bevor er sich 2001 mit Ingenieur-Dienstleistung, Unternehmensberatung & Coaching selbständig machte. Seit ca. 15 Jahren arbeitet er als Systemischer Coach. In dieser Zeit lernte er die unterschiedlichsten Denkweisen und Wertesysteme, auch anderer Kulturen, kennen und entwickelte somit einen Weitblick für gesellschaftliche Zusammenhänge. Durch die Beratungsarbeit in Unternehmen kennt er zudem viele Hintergründe, die die Wirtschaftsprozesse besser verstehbar machen. In jahrelanger intensiver Arbeit verfasste er das Buch "Goodbye Wahnsinn - vom Kapitulismus und Kommunismus zum menschenGerechten Wirtschaftssystem". Auf unorthodoxe Weise setzt er sich mit Lehren von Adam Smith bis Karl Marx und mit Sichtweisen von Norbert Blüm bis Sarah Wagenknecht auseinander. Sein Anliegen ist, mit seinen Erkenntnissen und Lösungen zu zeigen, dass wir eine bessere - eine nachhaltigere - Zukunft wählen können.

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