Arbeitslosenquote in Deutschland, Spanien, Griechenland, Italien, Portugal

Warum ist Deutschland erfolgreicher als der Rest des Westens? Und: Die ganze Wahrheit über Ihr Einkommen

War die Agenda 2010-Politik erfolgreich?

War die Agenda 2010 erfolgreich? Das scheint eine Kernfrage zu sein, um die sich der Bundestags-Wahlkampf 2017 dreht. Nun,  dazu gehört eine zweite Frage: Für wen oder was war sie erfolgreich?

Reduziert auf eine einzige Zahl ja…

Auf den ersten Blick hat Deutschland alles richtig gemacht. Im Vergleich zu dem Rest Europas und den USA hat man an Konkurrenzfähigkeit gewonnen und erzielt immer höhere Exportüberschüsse. Die Arbeitslosenquote ist nominell ebenfalls relativ niedrig. Das sagt der Lobbyverband „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“: Vor der Agenda 2010 war das: 5,3% Arbeitslosigkeit (4,86 Mio.). Heute sei die Arbeitslosigkeit halbiert, 2016 lag sie bei 2,8 Millionen.

Nun, sehen wir uns das doch mal genauer an. Die  Agenda 2010 wurde 2003 bis 2005 umgesetzt. Seit 2005 ist tatsächlich die Arbeitslosigkeit in Deutschland gesunken. Im Europäischen Ausland genauso, das war also konjunkturell bedingt. Ab 2008 ist sie aber bei den Europäischen Nachbarn massiv gestiegen. Gibt es da einen Zusammenhang?

Arbeitslosenquote in Deutschland, Spanien, Griechenland, Italien, Portugal

Arbeitslosenquote in ausgew. Europäischen Ländern seit Euro-Kurs-Fixiierung, Datenquelle: ec.europe.eu

 

Die Kurzzusammenfassung für Eilige

Die Agenda 2010 hat die Arbeitslosenzahlen reduziert, weil die Arbeit seitdem unter Existenzminimum bezahlt werden kann, damit der größte Niedriglohnsektor Europas geschaffen wurde, und an Kaufkraft gemessen, Arbeit insgesamt schlechter bezahlt wird. Das hat gleichzeitig den Inlandsmarkt geschwächt und einen Vorteil im Export verschafft, der aber auf Kosten unserer Europäischen Nachbarn geht. Letzteres wiederum bringt die immer stärkere Radikalisierung hervor, die sich z.B. beim G20 Gipfel in Hamburg zeigte. Die Vermögenseinkommen sind massiv gestiegen, die Arbeitseinkommen und Sozialeinkommen gesunken. In Deutschland und noch stärker im Europäischen Ausland. Und zudem wurden öffentliche Investitionen in z.B. Schulen und Infrastruktur zurückgefahren. Alles richtet sich darauf aus, privaten Investoren Gewinne zu ermöglichen und ihnen das Feld frei zu räumen, ihnen das Gemeinschaftsgut zu überlassen. Das Einkommen der Bürger wird reduziert, die Ausgaben erhöht. Das ist keine Politik für „das Volk“ und damit keine im Sinn des Grundgesetzes.

Bürgermeister Schröder und Bürgermeister Macron – Das ist bisher geschehen

Im Folgenden reduzieren wir den Maßstab und übertreiben die Maßnahmen, um die Zusammenhänge deutlich zu machen: Vor 500 Jahren liegen zwei Städte in direkter Nachbarschaft, der nächste Ort ist sehr weit entfernt. Beide hatten sich vor Jahren auf eine gemeinsame Währung geeinigt. In der Stadt 1 setzt Bürgermeister Schröder Arbeitslosigkeit unter Strafe. Man muss arbeiten oder sein Hab und Gut wird gepfändet oder er muss sogar ins Gefängnis. Die Verhandlungsposition der Arbeitenden ist miserabel und dadurch sinkt der Lohn für viele Bürger auf die Hälfte oder gar weniger als 1 „Euro“ pro Stunde. In Stadt 1 können daher Nahrung, Werkzeuge, Karren usw. erheblich billiger hergestellt werden wie in Stadt 2. In der Stadt 2 sind die billigeren Artikel sehr beliebt, weil sie bei bisher gleicher Qualität weniger kosten als die eigenen. Also machen die Unternehmen in Stadt 1 ein sehr gutes Geschäft. Aber: für viel Bürger in Stadt 1 reicht das Geld nicht mehr zum Leben. Sie sind auf Zweit- und Drittjobs oder soziale Zusatzgelder angewiesen. Sie können ihre eigenen Waren kaum kaufen und schon gar keine von Stadt 2, ihre Kaufkraft ist gesunken. In Stadt 2 kaufen die Bürger fast nur noch billige Ware aus der Stadt 1. Dadurch geraten die Unternehmen dort in finanzielle Schieflage. Die Bürger verdienen zwar besser, aber immer mehr sind arbeitslos, während in Stadt 1 alle Arbeit hatten, aber trotzdem Armut herrschte. Schließlich mussten die Unternehmen und Bürger immer mehr Kredit bei den reichen Bürgern von Stadt 1 aufnehmen.
Langsam brach ein Streit zwischen den Städten aus, die Stadtzeitung, die dem reichsten Bürger gehörte, schrieb, dass Stadt 1 einfach wettbewerbsfähiger sei als das Stadt 2. Und es sei ja bei Stadt 1 verschuldet und solle gefälligst seine Schulden begleichen. Es verschwieg dabei, dass Stadt 2 nicht bei Stadt 1 verschuldet war, sondern nur bei den Reichsten dort. Aber so konnte es die Bürger gegen Stadt 2 aufhetzen.

Und was dann geschah

Hätten die Städte verschiedene Währungen, würde die von Stadt 1 mehr wert, die von Stadt 2 weniger, irgendwann wäre ein Gleichgewicht hergestellt und das Lohndumping würde seinen Effekt verlieren. Da sie aber die gemeinschaftliche Währung hatten, aber keine gemeinsamen Regeln, blieb Macron, dem Bürgermeister von Stadt 2, nichts anderes übrig, als ebenfalls mit Schwächung der Arbeitnehmerrechte für niedrigere Löhne zu sorgen.
„Wir müssen und haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt.“ Gerhard Schröder, Davos, 28.1.2005
Jetzt verdienten die meisten Bürger beider Städte sehr wenig UND viele wurden arbeitslos, verloren alles. Ihre Häuser wurden von den Reichsten aufgekauft.
Der neue Bürgermeister von Stadt 1, Schäuble, rechtfertigte sein Vorgehen damit, dass man ja im globalen Wettbewerb stehe und dass ja jede Stadt das gleiche machen könne und damit Überschüsse machen könnte. Er bedachte jedoch nicht, dass a) der Überschuss des Einen der Verlust des Anderen ist. Mathematisch zwangsläufig muss für jedes Geldstück Überschuss jemand anders 1 Geldstück Verlust hinnehmen. Die Summe aller Handelsbilanzen ist Null. Und b) ist jede Stadt den gleichen Gesetzen unterworfen und es gibt nur eine begrenzte Zahl von Städten (bzw. globale Ebene: eine begrenzte Anzahl Länder, weltweit sind es 192).
Unglücklicherweise hatten die umliegenden Städte auch von den Maßnahmen gehört und sie umgesetzt. Und so waren immer mehr Bürger arm. Der Verkauf an andere Städte rettete noch etwas, doch die Wirtschaft brach mehr und mehr zusammen. Also suchte man nach „Investoren“, die aus einem anderen Teil der Welt Geld in die Städte bringen sollten. Ihnen übergab man Straßen, Grundtücke, Marktrechte usw., konnte damit einen Teil der Schulden abbezahlen. Man bedachte aber nicht, dass jeder Investor innerhalb von einigen Jahren bereits mehr Geld nimmt als er vorher „investiert“ hatte. Die Wegezölle, Zinsen, Lizenzen usw. schröpften die Bürger der Städte weiter, sie waren bis über beide Ohren verschuldet und verloren alles Hab und Gut. Sie wurden zu Sklaven.

Und jetzt die reale Situation

Export Deutschland Europa USA

Der Euro-Wechselkurs wurde am 1.1.1999 fixiert. Ab diesem Punkt beginn der Exportanteil Deutschlands sich viel stärker nach oben zu entwickeln wie die der anderen Euro-Partner: Exportquote Europäische Länder und USA 1992 .. 2017 (Export/BIP), Datenquelle: ec.europe.eu Anmerkung 1: Polen hat eine eigene Währung, war von der Eurokrise nicht betroffen und konnte sich durch Steuerpolitik verbessern, hat das größte Wachstum.  Anmerkung 2: In Griechenland ist die Exportquote so gestiegen, weil das Inlandsprodukt um 1/3 gesunken ist.

Mit Einführung des Euro begann ein sein stärkerer Anstieg der Exportquote Deutschlands gegenüber den europäischen Nachbarländern, was damit zusammenhängt, dass der Euro etwas schwächer ist als die vorherige DMark und so ein Exportvorteil entstand (die Ware war im Ausland billiger als zuvor bzw. die Kaufkraft in Italien, Griechenland usw. stieg so, dass man sich deutsche Produkte besser leisten konnte). Umgekehrt sank aber die Kaufkraft der deutschen Bürger – das dauert bis heute an. Seit Einführung der Austeritätspolitik für die Krisenländer steigt auch deren Exportquote – bei gleichzeitiger Dezimierung des Binnenmarktes (Heimatmarktes) und steigender Arbeitslosigkeit. Die deutsche Exportquote war von da an gedeckelt, weil sich das Ausland seither die deutschen Produkte nicht mehr in der Form leisten kann.

Die politische Einflussnahme auf die Masseneinkommen

2003 begann die politische Intervention Agenda 2010. Im früheren Sozialsystem gab es einen Defacto-Mindestlohn, denn niemand nahm eine Arbeit an, die schlechter bezahlt war als Arbeitslosengeld, bzw. nach 6 Monaten ohne Stelle, Arbeitslosenhilfe. Die Hilfe war nicht an Bedingungen geknüpft, außer, dass man in die Versicherung eingezahlt hatte und arbeitslos war. Durch Harz IV hat sich einiges geändert. Zum Einen müssen die, die sich etwas angespart haben erst einmal ihre Ersparnisse aufbrauchen, bevor sie Anspruch auf staatliche Hilfe haben (Immobilien und Rentenversicherung ausgenommen) und sind nach Arbeitslosigkeit  anderen gleichgestellt, die nie etwas gespart haben. Zum Anderen wird das Harz IV Geld auf bis zu 0% gekürzt, wenn man den Anweisungen der ARGE nicht Folge leistet und z.B. minderbezahlte oder qualifikationsferne Stellen nicht annimmt.
Auf diese Weise wird die Verhandlungsposition des Arbeitnehmers und Arbeitssuchenden stark geschwächt, weil er den Verlust seines Vermögens befürchten muss. Er muss auch Zeitarbeitsstellen annehmen oder Jobs, die ihn seine Karriere auf seinem Qualifikationsweg zerstören (z.B. wenn Sie als Maschinenbau-Ingenieur 1..2 Jahre als Paketfahrer gearbeitet haben, finden Sie wahrscheinlich nie mehr eine Stelle in ihrer höheren Qualifikation).
Darüber hinaus wurde mit der Arbeitsmarktflexibilisierung der Flächentarifvertrag durch lokale Unternehmensverträge ersetzt. Eine kleine Gruppe von Arbeitnehmern verhandelt also mit einem multinationalen Konzern. Das bedeutet, der Arbeitgeber ist ungleich mächtiger und kann die Konditionen bestimmen, sonst wird halt woanders entwickelt oder produziert. Der Kündigungsschutz wurde aufgeweicht und damit das Auftragsrisiko vom Unternehmen an die Mitarbeiter ausgelagert – mit Entgeltminderung statt Risikoaufschlag. Dieser Umstand führt auch dazu, dass sich Arbeitnehmer scheuen, sich irgendwo fest niederzulassen oder eine Familie zu gründen und wirkt sich negativ auf die Geburtenrate aus, was wiederum Renten und Wachstum reduziert.
So wurde also bewirkt:
  • Das Arbeitseinkommen in Deutschland (inflationsbereinigt) sank (durch Harz IV)
  • Der Exportanteil stieg, gleichzeitig stagnierte der Inlandsmarkt (durch Euro + HarzIV)
  • Die deutschen Einkommen und Geldvermögen an Kaufkraft verloren (durch die Gemeinschaftswährung)
  • Sich Deutschland einen Wettbewerbsvorteil verschaffte
  • Es gab im Lauf der Zeit weniger Arbeitslosigkeit,
  • aber nur auf Kosten von verminderten Einkommen. Arbeitseinkommen und Rente reichen zu einem immer größeren Teil nicht mehr zum Leben
  • Schuldenwachstum, das für Wirtschaftswachstum gebraucht wird, wurde ans Ausland externalisiert (Geldvermögen sind heute durch Schulden gedeckt, siehe hier)
  • Arbeitslosigkeit wurde sozusagen exportiert, vor allem ans Europäische Ausland.
  • Die Geburtenrate sank weiter, die Rentenproblematik wurde größer.

Wieder mal eine falsche Theorie als Basis für Politik

Empirische Studien zeigen, dass kein Zusammenhang zwischen Arbeitsmarktflexibilisierung und verminderter Arbeitslosigkeit hergestellt werden kann, eher im Gegenteil [Günther Grunert]. Das musste sogar die OECD anerkennen, sie stellt fest, dass starke Arbeitnehmerrechte statistisch mit niedrigen Arbeitslosenquoten korrelieren:
«Die Mehrzahl der […] Regressionsanalysen aus dem Ländervergleich kommt zu dem Schluss, dass ein hoher Grad des Korporatismus (d.h. eine starke Zentralisierung und/oder Koordination der Tarifverhandlungen) mit einer geringeren Arbeitslosigkeit verbunden ist.» [OECD (2006): OECD-Beschäftigungsausblick – Mehr Arbeitsplätze, höhere Einkommen, Paris, S. 85f.]
Das bedeutet: Diese Flexibilisierungsmaßnahmen bringen nicht mehr Arbeit, aber niedrigere Löhne. Dennoch wurde nach der Krise 2010 den anderen europäischen Staaten auch die deutsche Politik aufgezwungen, was zur Folge hatte, dass dort der Binnenmarkt einbrach und heute immer noch auf kaum höherem Niveau liegt. Da die aufgebauten Schulden aufrecht erhalten wurden, führt das zu einem langfristig immer größeren Problem – diese wachsen aufgrund Verzinsung schneller als die Wirtschaft der Länder.

Die Fakten

  • Stand heute beziehen 5,1 Millionen Menschen Harz IV-Geld. Nur ein Bruchteil davon ist offiziell als Arbeitslos geführt. Viele wirklich Arbeitslose werden aus der Statistik herausgerechnet.
  • Niedrige Grundeinkommen bedeuten weniger nominell Arbeitslose aber mehr staatliche Hilfen (-> unnötig höhere Lohnnebenkosten). Zudem können viele die eine Arbeit haben, nicht mehr von ihr leben.
  • 1/4 der Beschäftigten in Deutschland arbeiten im Niedriglohnsektor (der in dieser Form erst durch die Agenda 2010 geschaffen wurde)
  • In der Tafel Cottbus wurden kürzlich „Öffnungszeiten ohne langes Warten“ für „bedürftige Arbeitende“ eingeführt.
  • In einer Studie des Robert Koch Instituts wurde untersucht, welchen Einfluss Einkommen auf die Gesundheit und Lebenserwartung hat. Das Ergebnis ist vor allem bei Männern extrem deutlich: Angehörige der niedrigsten Einkommensgruppe sterben ca. 9 Jahre früher wie die der höchsten untersuchten Einkommensgruppe.

 

Warum Sie sich immer weniger leisten können

Die Realeinkommen haben sich laut DIW-Studie in den letzten 23 Jahren um 12% erhöht. Diese 0,5% pro Jahr sind nicht viel, klingen aber erst einmal in Ordnung. Jedoch: Diese Steigerung ging fast nur auf die Konten der reichsten 10%, deren Einkommen um 27% wuchs. Ihr Anteil am Einkommen stieg, der Einkommensanteil der „Mitte der Bevölkerung“ fiel um 7%. Immerhin kann die Mittelschicht trotzdem noch einen Einkommenszuwachs von ca. 0,31% pro Jahr verzeichnen.

Während jedoch die Ausgaben durch Mietpreisexplosion, Ölpreissteigerung, Arztgebühr, immer weniger Kassengetragene Gesundheitsleistungen, höhere Gebühren, selbstbezahlte Bücher in Schulen, Studiengebühren usw. ständig stiegen (was sich dies im Inflations-Warenkorb nicht abbildet, weil nicht real eingerechnet). In den 1970er Jahren wurden Brillen und fast alle Kosten für Zahnbehandlungen durch die Krankenkasse getragen. Heute kann eine Zahnoperation eine normale Familie in die Verschuldung treiben und fast jede Brille ist zu 90% selbst bezahlt. In der Realität können Familien in der Mittelschicht nur noch einigermaßen sorgenfrei leben, wenn beide Elternteile arbeiten oder Mulitjobben [Nachdenkseiten].

Und: Das ärmste Zehntel der Bevölkerung hatte in diesem Zeitraum einen Einkommensverlust von 8% hinzunehmen!

Diese „Phänomene“ lassen sich leicht erklären. Durch Lohnzurückhaltung sank der Einkommensanteil aus Arbeit zugunsten des Vermögenseinkommens aus Unternehmensausschüttungen. Gleichzeitig wurde durch Senkung des Spitzensteuersatzes und Abschaffung der Vermögenssteuer das Vermögenseinkommen noch weiter begünstigt. Wer arbeitet, muss nicht nur Einkommensteuer von bis zu 45% zahlen, sondern auch komplett die Sozialkassen finanzieren (der Arbeitgeberanteil wird letztlich auch vom Arbeitsentgelt abgezogen). Wer dagegen Dividenden und Zinsen kassiert, zahlt im Durchschnitt gerade mal 2% Steuer. Und so wächst die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich immer weiter.

Europäische Ebene

In einer Weltwirtschaft würden Lohnkürzungen und damit die Steigerung der Wettbewerbsfähgikeit und evtl. Steigerung der Exportüberschüsse durch eine Aufwertung der Währung bestraft. Im Wesentlichen zwei Länder jedoch nützen eine Form von Währungsmanipulation, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu schaffen: China (hier berichtet) und Deutschland.

In einer Währungsgemeinschaft gibt es das Instrument der Währungs auf- und abwertung nicht. Zwischen den Volkswirtschaften der Eurozone müsste es dafür andere Ausgleichsmechanismen geben. Der Finanzausgleich der EU reicht dafür aber nicht aus und wurde sowieso stark zurückgefahren.

Deutschland kann sich auf diese Weise einen starken Vorsprung beim Export verschafft. Dieser Überschuss kommt aber nicht bei den durchschnittlichen Bürgern oder Leistungserbringern an, sondern bei Geldanlegern. So entsteht ein starker industrieller Komplex in bestimmten Gebieten Deutschlands, weite Teile Europas aber geraten zunehmend in Armut. Reich wird ein geringer Teil in jedem der Länder, real ärmer werden die meisten Bürger.

„In Europa hat sich ein Zentrum gebildet, welches von Deutschland repräsentiert wird, genauer gesagt vom deutschen Industriekomplex. Speziell die Automobilbranche und die Chemische Industrie, die besonders auf Export fokussiert ist. Um dieses Zentrum herum entstehend eine Reihe von Peripherien.“ [Costas Lapavitsas]
Wenn ein Land Überschuss erzielt, bedeutet das zwangsläufig für andere Länder ein Handelsbilanzdefizit. Es gibt kein Szenario, wo alle Länder gewinnen, außer wenn die Handelsbilanzen ausgeglichen gestaltet werden. Auch Freihandel kann auf Dauer nur bei ausgeglichenen Handelsbilanzen funktionieren [Heiner Flassbeck].
Eine Politik, die ganz Europa über niedrige Löhne wettbewerbsfähig machen will, muss eher scheitern, denn a) ist Europa dann darauf angewiesen, dass die Einkommen in anderen Wirtschaftsregionen steigen und diese mehr Produkte aus Europa kaufen, also müssen andere für das Weltwirtschaftswachstum in die Presche springen – aktuell zeichnet sich eher das Gegenteil ab. und b) hat Europa nur 15% Außenhandelsanteil [Patrick Kaczmarczyk], man tut also gut daran, die Politik im Wesentlichen am Binnenmarkt auszurichten und nur ergänzend am Exportmarkt.

Stagnieren die Einkommen der niedrigen Einkommensgruppen, dann stagniert auch der volkswirtschaftliche Umsatz, denn Reiche geben nur einen Bruchteil ihres Einkommens für Konsum aus. Diese Lücke wird teilweise durch Kredite (Schulden) ausgeglichen, auch Verschuldung des Auslands (Handelsbilanzüberschuss), teilweise muss sie der Staat durch vermehrte Sozialleistungen ausgleichen.

Also nehmen die Sozialkosten des Staates zu, während gleichzeitig Kostendruck auf den Unternehmen lastet, welche wiederum Lohnkosten und Lohnnebenkosten unter Druck setzen. Der Staat verschuldet sich also und/oder reduziert die Leistungshöhen für die ärmere „Schicht“: Arbeitslosengeld und Rente.

 

Europas wirtschaftlicher Niedergang und Deutschland als Scheinprofiteur

Die Schäuble-/ Merkel-Politik schädigt also die europäische und langfristig auch die deutsche Wirtschaft. Ohne Wachstum der Binennachfrage können sich langfristig keine innovativen Unternehmen herausbilden und Deutschland und Europa verlieren im weltweiten Wettbewerb an Boden. Ebenso werden durch Lohnsenkung und Senkung der Lohnnebenkosten rechnerisch Produktivitätsverbesserungen erzielt, die aber verhindern, dass die Unternehmen durch Innovation ihre echte Produktivität verbessern.  Auch das ist langfristig ein  Problem.
Von der Bundesregierung, den Bertelsmann- und Springermedien wird gerne das Bild vermittelt: „Es geht uns doch gut“. Doch das stimmt so nicht, vor allem aber geht es vielen anderen Europäischen Ländern und Bürgern nicht gut. Sie leiden unter einem falsch konstruierten Euro und einer deutschen neoliberalen Politik, die das Europäische Lohnniveau nach unten drückt und damit auch die Binnennachfrage.
Es gibt momentan – nach einer historisch langen Wirtschaftskrise einen leichten Aufschwung in Europas Wirtschaft. Dieser aber ist interessanterweise nicht auf die Austeritätspolitik zurückzuführen, sondern, im Gegenteil, darauf, dass sie in einigen Ländern gelockert wurde [Beispiel Portugal] und von einem schwachen Euro [Makroskop].
Es nützt nicht viel, wenn eine Hand voll lokale starke wirtschaftliche Zentren immer größer werden, wenn der Rest von Deutschland und Europa immer weniger Wirtschaftskraft haben. Wir brauchen die Wirtschaftskraft und Intelligenz von ganz Europa. Und immer auf alte Geschäftsgebiete und Technologien zu setzen kann langfristig nicht gut gehen. In dieser Beziehung schafft das Duo Schäuble/ Merkel ebenfalls nichts, was in eine positive Richtung zeigt.
Für den Großteil der Europäischen Bevölkerung heißt die aktuelle Politik: wenig  Einkommen, betteln um Arbeit, große Umweltzerstörung, wenig Lebensqualität, Angst vor der Zukunft. Und das ist nun gerade das Gegenteil dessen, was Aufgabe der Politik ist.
In den letzen 20 Jahren wurde also die „marktgerechte Demokratie“, von der Angela Merkel einmal sprach, geschaffen. Was wir brauchen ist aber das Gegenteil: einen demokratiegerechten Markt. Wie man diesen schafft? Das steht hier: Werte in die Wirtschaft.

 

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About CU_Mayer

Über den Autor Nach Beginn im kaufmännischen Zweig studierte Dipl.-Ing. (FH) Christoph Ulrich Mayer, geboren 1968 in Krumbach (Schwaben), Nachrichtentechnik. Er arbeitete mehrere Jahre als Ingenieur und Projektleiter, bevor er sich 2001 mit Ingenieur-Dienstleistung, Unternehmensberatung & Coaching selbständig machte. Seit ca. 15 Jahren arbeitet er als Systemischer Coach. In dieser Zeit lernte er die unterschiedlichsten Denkweisen und Wertesysteme, auch anderer Kulturen, kennen und entwickelte somit einen Weitblick für gesellschaftliche Zusammenhänge. Durch die Beratungsarbeit in Unternehmen kennt er zudem viele Hintergründe, die die Wirtschaftsprozesse besser verstehbar machen. In jahrelanger intensiver Arbeit verfasste er das Buch "Goodbye Wahnsinn - vom Kapitulismus und Kommunismus zum menschenGerechten Wirtschaftssystem". Auf unorthodoxe Weise setzt er sich mit Lehren von Adam Smith bis Karl Marx und mit Sichtweisen von Norbert Blüm bis Sarah Wagenknecht auseinander. Sein Anliegen ist, mit seinen Erkenntnissen und Lösungen zu zeigen, dass wir eine bessere - eine nachhaltigere - Zukunft wählen können.

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