Entgegen dem Mainstream wählt die SPD eine neue Politik
Nun ist also die basisdemokratische Wahl der neuen SPD-Doppelspitze abgeschlossen. Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken gingen mit 53% als Sieger hervor, Olaf Scholz und Klara Geywitz mussten sich in der Stichwahl mit 45% geschlagen geben.
Olaf Scholz gilt als Machtpolitiker, Geywitz als Pragmatikerin, das Duo als für die Fortsetzung des „Establishment“ Kurses und der großen Koalition. Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken stehen für Ideale und für den Kampf gegen Ungerechtigkeit. Die SPD Spitzenpolitiker hatten sich im Vorfeld geschlossen hinter Scholz/ Geywitz gestellt. Dass die Mitglieder anders abgestimmt haben, bedeutet auch eine Abkehr von gelebten konformistischen Politik. Das erfordert Mut.
Kaum ist die Wahl verkündet, geifert die deutsche Dominanzpresse und schießt aus allen Rohren. Die Bild-Zeitung widmet ihre Titelseite: „Ein Drama! Brandt-Widme entsetzt über die SPD“ Brigitte Seebacher-Brandt sagte laut Bild: „Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie Willy Brandt und Helmut Schmidt jetzt im Himmel sitzen und das Drama mit ansehen müssen.“. Kühnert sei jetzt der „starke Mann“. Die Welt beendet gleich die Parteigeschichte: „Die SPD gibt es nicht mehr“ und sei jetzt „in der Kultur des Kinderbgeburtstags angekommen“. Auch der Tagesspiegel sagt „adieu Sozialdemokraten“, der „Populismus“ habe „in der SPD gesiegt“ und das Blatt scheut nicht davor zurück, wirre Vergleiche mit Brexit oder Trump zu ziehen. „Planlose Lust am ganz Anderen“ habe zum Sieg der falschen Personen geführt. Und die Süddeutsche titelt mit einem Zitat eines FDP-Politikers: „Der SPD ging es doch schon schlecht, jetzt stürzt sie sich ins Chaos“.
Dass die Springer- und Bertelsmann-Medien über das neue SPD Spitzenduo herziehen ist ein gutes Zeichen dafür, dass sie nicht eine elitäre Meinung vertreten sondern die Interessen der Bevölkerung. Borjans und Esken dürfen sich allerdings darauf einstellen, dass sie medial unsachlich und unfair bekämpft werden, ähnlich wie es mit Sarah Wagenknecht praktiziert wurde. Wer davon einen Vorgeschmack bekommen will, braucht nur die aktuelle Ausgabe der Bild zu „lesen“.
Ein Vorwurf von Chaos oder Beliebigkeit ist völlig aus der Luft gegriffen. Walter Borjans war immerhin 2010..2017 NRW Finanzminister und weiß, mit Verantwortung umzugehen. Und er stellt seine Werte über politische Widerstände. Er war z.B. derjenige,, der über den Kauf der „Steuer CDs“ kräftig Bewegung in das Abstellen von Steuerbetrug brachte. Saskia Esken ist seit 2013 Bundestagsabgeordnete und hat in zahlreichen Ausschüssen mitgewirkt.
Konkrete Forderungen der neuen SPD-Spite an die CDU/CSU sind erhebliche Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz, einhergehend mit einer Abkehr von der „schwarzen Null“ und ein 12€ Mindestlohn.
In der Tat gibt es jetzt Risiken für die SPD. Baldige Neuwahlen würden der SPD vermutlich schaden. Daher muss sie zunächst einen klare Richtung herausarbeiten und beibehalten. Die Partei muss jetzt, wo sie eine bei der Bevölkerung glaubwürdige Führung hat, konsequent Politik nach ihrem Wertesystem machen. Notfalls muss sie über ein zunächst nicht begeisterndes Wahlergebnis hinweg konsistent bleiben. Dann kann sie wieder an Stärke gewinnen.
Der Niedergang der Partei war ganz wesentlich davon verursacht, dass man ihr ihre guten Absichten nicht mehr abgenommen hat. Politiker wie Sigmar Gabriel versprachen das Eine aber kümmerten sich anschließend nicht mehr um ihre Versprechen und die Interessen der Bürger. Wenn sich das jetzt mit einer stabilen Parteistruktur, ändert, dann kann es aufwärts gehen.
Wichtig wird sein, dass, jetzt wo Die Partei eine demokratische Entscheidung getroffen hat, sich nicht mehr mit Personaldebatten oder abgewählten Richtungsstreitereien geführt werden, sondern an einem Strang zieht und sich gegenseitig unterstützt, wo bisher Schwächen waren.
Wichtig wird auch sein, dass man versteht und auch nach außen darstellt, warum die Politik richtig ist und warum sie funktioniert.
Beispielsweise liefen CDU und Wirtschaftsverbände Sturm, als der 8,50€ Mindestlohn eingeführt werden sollte. Heute sagt keiner mehr etwas dagegen, denn die Wirtschaft florierte anschließend. Das ist auch kein Wunder, denn durch die Stärkung der niedrigen Einkommen steigt der Umsatz im Inlandsmarkt, die Lohnerhöhung bewirkt Wirtschaftswachstum. In der aktuellen Phase ist das eine passende Politik. Gleichzeitig braucht es aber Maßnahmen für den Umgang mit Konkurrenz aus Asien. Denn die Mechanismen, die Lohndumping mit Währungaufwertung bestraften, funktionieren heute nicht mehr richtig.
Die „schwarze Null“ ist deshalb unsinnig, weil die Volkswirtschaft innerhalb des heutigen Finanzsystems nicht ohne Schulden funktionieren kann. Würden die gesamtwirtschaftlichen Schulden abgebaut, dann müssten die Geldvermögen in gleichem Maß schrumpfen. Durch die reduzierte Geldverfügbarkeit würde die Wirtschaft in eine tiefe Depression fallen. Unser Wirtschaftssystem benötigt Wachstum und das kann es nur geben, wenn mehr ausgegeben wird. Jemand muss dafür, im heutigen System, die Verschuldung tragen: Staat, Unternehmen, Privatpersonen oder Ausland. Die deutsche Lösung, das Ausland zu verschulden, kann auf Dauer nicht gut gehen. Auch hier ist ein Politikwechsel vernünftig, zumal wir in einer Zeit der Negativzinsen leben.
Es gibt genügend Themen, mit denen eine Partei punkten kann, die es ehrlich meint. Einige davon im Artikel „Sehr geehrte SPD Mitglieder“ aufgelistet. Die Bürgerrat-Bewegung bietet ebenfalls eine Menge Gelegenheit, die Bedürfnisse der Bevölkerung in Politik umzusetzen. Eine neue Politik immer wieder entgegen der Meinung der Mainstream-Medien zu kommunizieren, wird jedoch eine Herkules-Aufgabe sein.
Ich würde mich aber freuen, wenn die SPD wieder zu einer neuen Hoffnung für die Demokratie werden würde.