Muss das sein, dass sich schon wieder jemand zum Brexit äußert? Ja, es muss sein, weil die Medienwelt voller Unsinn und antidemokratischen Äußerungen sind und auf diese Weise eine große Chance ins pure Gegenteil verkehrt wird.
Englands Medien und Politiker haben kaum etwas ausgelassen, um Angst vor dem Austritt Großbritanniens aus der EU zu machen. Nach dem Mord an Jo Cox (Der Spiegel: „Das Attentat, das alles verändern könnte“) kippte schließlich in Meinungsumfragen die Mehrheit zugunsten der EU-Anhänger. Und dann haben die Wähler doch glatt gewagt, trotzdem für einen Austritt aus der EU (nicht gleichbedeutend mit Europa oder gar der Europäischen Idee) zu stimmen.
Diese Abstimmung ist vor Allem eins: eine schallende Ohrfeige für die EU-Technokraten. Denn trotz aller irrationaler Angstmacherei sah die Mehrheit der Briten eine größere Chance im Entfernen der undemokratischen und permanent die Interessen der Bürger verratenden EU. Seitdem überschlagen sich die Aussagen (Best of BREXIT-Blödsinn auf den Nachdenkseiten). In der Tagesschau wurde gar ein Firmenvideo mit dem Chef der Deutschen Bank eingespielt, in dem er sich beklagte, dass er nicht verstehen könne, wieso sich so viele Menschen von der Europäischen Idee abwenden würden. Diese Aussage ist charakteristisch für die Manipulation durch Interpretation der Abstimmung. Sie wird als Antieuropäisch ausgelegt und die Europäischen Werte sollen verraten worden sein. Mag sein, dass Rechtspopulismus auch mitgespielt hat. Aber die EU stand nie für die Europäischen Werte:
- Demokratie: Alle Referenden die gegen die EU-Verträge und DeFacto Verfassung stimmten, wurden niedergebügelt. Und bei diesem sucht man schon wieder nach allen Möglichkeiten, es zu umgehen oder zu wiederholen bis das Ergebnis den Meinungsmachern passt. Der Europäische Rat besteht aus 28 Regierungsmitgliedern und hebelt dadurch als gesetzgebende Kraft die Gewaltenteilung aller Europäischen Länder aus. Und siehe „Wir leben nicht in einer Demokratie und es wird Zeit, das zu ändern“. Unsere demokratische Werte werden durch Konzessionen an die Finanzwirtschaft untergraben, usw.
- Frieden und Menschenrechte: Die Europäischen Ländern sind an vielen Kriegen beteiligt, der Jugoslwaien-Krieg geht auf ihr Konto, die Ukraine-Konflikte zeigen keinen Friedenswillen, von deutschem Boden aus werden über Drohnen Menschen im arabischen Raum ohne Gerichtsverfahren auf Verdacht ermordet. Viele Syrer, Iraker, Afghanen haben ihren Respekt vor den Werten des Westens verloren, weil diese Werte für sie ganz offensichtlich nicht gelten. Und der EU Ratspräsident Juncker verkündete vor einigen Monaten, er will ein zentral geführtes Heer für Europa schaffen.
- Gemeinsamer Wohlstand und Gerechtigkeit: In Griechenland, Portugal und Spanien herrschen Arbeitslosenraten von 25% und eine Jugendarbeitslosigkeit von bis zu 50%. Die Bruttoinlandsprodukte wurden durch die Austeritätspolitik auf ein katastrophales Niveau heruntergefahren und verharren dort seit Jahren. Die Ungleichheit zwischen den Ländern und in den Ländern wird immer größer und unerträglicher. Eine Selbstbestimmung vieler Völker wird durch die durch Agendas der Finanzwirtschaft und Wirtschaftslobbyismus über den Umweg „Staatsverschuldung“ ausgehebelt. usw.
(Die SPD hat aus Anlass des Brexit das sogar thematisiert und schlägt vor das zu ändern, doch wer so oft lügt, wer in der Regierungsverantwortung den Wahnsinn mitträgt und wer sich für bürgerfeindliche Verträge wie TTIP einsetzt, dem glaubt man halt nicht mehr. - Rechtsstaatlichkeit: Wird zunehmend durch Krisenpolitische Maßnahmen und internationale Verträge wie TTIP und CETA ausgehöhlt.
- usw.
„Die EU garantiert den Frieden im gemeinsamen Europa? Das sehen Kroaten, Serben, Bosnier, Kosovaren, Albaner, Ukrainer und Russen sicherlich anders. Die EU steht für eine Solidarität unter den europäischen Völkern? Fragen Sie mal die Griechen, ob sie diesen Satz so unterschreiben würden. Die EU sichert gemeinsamen Wohlstand? In Zeiten, in denen die Einkommens- und Vermögensschere sich in allen EU-Staaten teils massiv öffnen, ist auch dieser Satz kaum mehr als eine bedeutungslose Hülse. Europa hat sämtliche Versprechen, die es gegeben hat, nicht eingehalten.“ [Jens Berger]
Absolut lesenswert sind die in diesen Tagen zum Thema BREXIT veröffentlichten Artikel auf den Nachdenkseiten.de. Dort werden all die Fehleinschätzungen und Manipulationen aufgedeckt, die Chancen aufgezeigt, genauso die Risiken dessen, wie jetzt gerade der deutschen Politik- und Medienlandschaft mit dem Thema umgegangen wird z.B. „Liebe Eliten, Ihr treibt Europa in den Untergang“. oder „Jedem Ende wohnt ein Anfang inne – der Brexit als (vielleicht) letzte Chance für Europa“.
Wer, so wie ich, den Fehler gemacht hat, am 28.6. die Diskussion bei Markus Lanz anzusehen wird entweder über die Ignoranz der kompletten Runde erschrocken sein oder wird denken: die spinnen, die Engländer. Die Runde ließ auf vielerlei Weise wissen, dass Demokratie gleichbedeutend mit der Herrschaft der Dummen sei. Besonders schlimm waren Aussagen der Professorin der Politoligie, Ulrike Guérot. Sie klagte mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit darüber, dass die City of London nicht genug Meinungsarbeit gemacht habe und schrieb das scheitern des Referendum Frankreichs gegen die damals vorgeschlagene EU-Verfassung einfach so einer blinden Wut auf Jaques Cirac zu. Auf die Idee, dass diese Menschen sich mit der Verfassung beschäftigt haben, die später in „Lissabonner Vertrag“ umbenannt wurde, um weitere Referenden zu umgehen, und sie aufgrund ihrer Demokratiefeindlichkeit abgelehnt haben könnten, auf die Idee kommt sie nicht. Wenn sie eine echte Representantin ihrer Zunft ist, wirft das ein ganz schlechtes Licht auch auf ihren Bereich der „Wissenschaft“.
Keine Frage: Großbritannien wird mit der EU nicht alle Probleme los. Sie hat viel zu lange ihre Politik und Wirtschaft von der City of London bestimmen lassen, die gar nicht zu England gehört sondern, ähnlich dem Vatikan in Rom, ein exterritorialer Staat inmitten von London ist. Englands Industrie bestreitet nur noch 10% des Bruttoinlandsprodukts und das wird sich erst ändern, wenn sich die Prioritäten der Briten von der Finanzschieberei zur Realwirtschaft verändern. Es wird durch den Austritt weder die große Rettung eintreten, noch eine große Katastrophe. Klar, Spekulanten, Entschuldigung, „die Märkte“ haben durch ihre Vorurteile einen Einbruch der Aktienkurse um vorübergehend 10% und des Pfunds um gut 5% verursacht. Aber das hat mit der Realität nichts zu tun und es gab schon weit schlimmere „Einbrüche“. England hatte immer eine eigene Währung, hatte vor der EU viele weltweite Handelsverträge und wird auch danach viele haben. Es wird Veränderungen in die eine und die andere Richtung geben, jeder seriöse Wissenschaftler sagt, es sei nicht abschätzbar, was überwiegen wird.
Auf der anderen Seite wird die Freiheit Englands auch nicht so groß sein, wie von Vielen erhofft. Die EU hat schon deutlich gemacht, dass der freie Handel mit nur umfangreich weiterbestehen soll, wenn z.B. Great Britain bei der Aufnahme von Flüchtlingen Zugeständnisse macht. Die Schweizer wissen, wie die EU auch echte Demokratien dazu bringen, sich ihren Wünschen in wirtschaftlichen und rechtlichen Dingen zu beugen. Diese Erfahrungen werden auch die Engländer machen. Aber durch das Zeichen, das sie gesetzt haben besteht auch die Chance auf die Entwicklung hin zu einem echten demokratischen Europa. Das wäre die Chance, die jetzt zu ergreifen wäre. Das Abgleiten in Rechtspopulismus und Rechtsextremismus ist die Gefahr, die Europa droht. Die Ignoranz unserer Politiker und der Bertelsmann und Springer-Medien befeuert aktuell gerade diesen Weg. Und Extremismus ist längst unbemerkt in die Mitte der Politik gerückt, nur eben nicht der offensichtliche – der rückt genau deshalb immer mehr in die Nähe politischer Macht.
Anhang:
Zu Ulrike Guérot: Bei Lobbyradar ist sie ansich relativ unauffällig, ist in der den Grünen nahe stehenden Heinrich Böll-Stiftung. Vielleicht erklärt es aus ihrer Gründungsmitgliedschaft bei der European Council on Foreign Relations, bei der auch der Unternehmensberater Roland Berger Ratsmitglied ist, der auch in Projekten wie dem „Konvent für Deutschland“ aktiv war, der laut Lobbycontrol das Ziel hat, „Rahmenbedingungen zu schaffen für einen schlanken, wettbewerbsorientierten Staat, mehr Ungleichheit und bessere Möglichkeiten, unpopuläre Reformen (wie das Zurückschrauben von Sozialsystemen) durchzusetzen“.