Exempel an Griechenland?

Liest man im Blätterwald, könnte man meinen, die griechische Regierung wäre von Sinnen. Exemplarisch dieses Zitat aus dem tschechischen Blatt Hospodarske noviny:

Griechenland und die Finanzkrise, Eurokrise

Griechenland am Ende? Quelle: Wiki Commons

„Alexis Tsipras hat sein Volk betrogen. Zu Beginn des Jahres war er mit dem Versprechen angetreten, Griechenland in der Eurozone zu halten und die Gläubiger zu Änderungen der Zahlungsbedingungen zu bewegen. Doch seine weitreichenden Sozialprogramme sind mit den Forderungen der Gläubiger nicht unter einen Hut zu bringen. Tsipras hätte schon im April oder Mai zurücktreten müssen, um eine Regierung an die Reihe zu lassen, die sich mit Europa hätte einigen können. Stattdessen ging er bis zum bitteren Ende und hatte sogar noch die Dreistigkeit, ein völlig überflüssiges Referendum auszurufen. Vielleicht verstehen die Griechen nun endlich, dass Tsipras die Fähigkeiten für den Job als Regierungschef abgehen.“

Doch hat Tsipras tasächlich sein Volk betrogen? Ja, Prof. Heiner Flassbeck hatte Tsipras bereits vor seinem Amtsantritt vorausgesagt, dass seine Möglichkeiten sehr begrenzt sind:
„Als ich vor zweieinhalb Jahren Gelegenheit hatte, mit Alexis Tsipras ausführlich über die Möglichkeiten einer neuen linken Regierung in Griechenland zu reden, habe ich ihm genau das vorhergesagt. Er aber wollte es nicht glauben, weil es doch nicht sein könne, dass eine demokratisch gewählte Regierung in einem demokratischen Europa daran gehindert wird, den Willen des Volkes durchzusetzen. Doch, es kann sein. Wie in vielen Entwicklungsländern zuvor erlebt, ist die Demokratie genau dann am Ende, wenn eine Regierung mit den Gläubigern (in Form des Internationalen Währungsfonds) über alte oder neue Kredite verhandeln muss. Das ist bei Griechenland nicht anders als es in Asien, in Afrika oder in Lateinamerika war.“ 
Flassbecks Artikel ist sehr lesenswert, er spricht außergewöhnlich deutlich über die Fehler die Politik in Brüssel und Berlin: Die Schlafwandler.

Auch die Darstellungen in den deutschen Medien, Griechenland wäre im Aufschwung gewesen, sind falsch. Schaut man sich die Daten genauer an, bleibt von dieser Legende nichts übrig. Zitat: „Dumm nur, dass der abermalige Rückgang des BIP nicht auf das erste Quartal dieses Jahres fiel. Man hätte ihn sonst wunderbar der neuen Regierung Tsipras in die Schuhe schieben können, frei nach dem Motto: Da sieht man wieder, wohin mangelnder Spareifer und fehlender Reformwille führen …

Auch die Stories vom angeblich im Aufschwung befindlichen Irland, Portugal und Spanien sind pure informatorische Zaubertricks. In Irland ist keine Verbesserung eingetreten, mit Ausnahme dessen, dass die Zinszahlungen aufgrund der geringeren Zinssätze gesunken sind, Info hier. Die Gesamtverschuldung dort ist aber auf 390% gestiegen, wenn es denn einen Aufschwung gäbe, den man erklären muss, dann würde er durch diese Blase entstanden sein.

In Portugal ist die Gesamtverschuldung seit 2008 um 69% gestiegen, sie liegt heute bei 381%.

In Spanien ist die Staatsverschuldung durch die Finanzkrise von 36% auf 100% gestiegen. Als Lösung forderten die sogenannten „Geldgeber“ aber die Reduktion der staatlichen Kosten und Leistungen. Wo liegt da die Logik?

Was überhaupt nicht erwähnt wid ist, dass ein einziges Land, das die Finanzkrise in besonders starkem Maß betroffen hatte, längst wieder auf einem wirklich nachhaltigen und wirtschaftlich erfolgreichem Weg ist: Island. Island ist 2008 aus dem Wahnsinn ausgestiegen und hat die spekulativen Anlagen platzen lassen. Das war das einzig sinnvolle Verhalten. Alle anderen Staaten haben durch die Bankenrettungen die Spekulationsblasen zu ihrer eigenen Schuldenlast gemacht und zahlen heute den Preis dafür.

Ja, für Deutschland funktioniert die Austeritätspolitik. Doch Schäubles Forderung, alle Staaten sollen ihre Schulden abbauen, indem sie Wachstum und Handelsbilanzüberschüsse erzielen, ist im Wettkampf der dümmsten Wirtschaftstheorien ganz weit vorne.

Es ist mathematisch unmöglich, dass alle länder Überschüsse erzielen. Es ist unumgänglicher Fakt, dass die Summe an Handelsbilanzüberschüssen gleich der Summe der Handelsbilanzdefizite sind.

Wer den Artikel Schulden sind die Guthaben der Vermögenden – Woher kommt Geld? gelesen hat weiß, dass ein Wachstum im heutigen Finanzsystem nur mit einem Wachstum an Schulden möglich ist! Wie, bitteschön soll dann das Sparen zu Wachstum führen? Und wie soll Wachstum zum Abbau von Schulden führen?

Deutschland und einzelne Länder können sparen oder die Löhne niedrig halten und sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil sichern. Wenn jeder das gleiche tut, funktioniert das aber nicht mehr. Dann bedeutet diese Politik nichts anderes als die Reduktion der Lebensqualität, globalen Abbau von sozialen Maßnahmen, Bildung usw. zugunsten von Vermögenseinkommen.

Hat Griechenland Fehler gemacht? Mit Sicherheit ja, die Kreditaufnahmen in der Vergangenheit hätten viel früher zu Maßnahmen führen müssen. Auch ist unverständlich, warum die jetzige griechische Regierung ihre vorhandene reiche Bevölkerungsschicht nicht viel stärker zur Kasse bittet. Wer ein Schiff besitzt, bezahlt keine Steuern. All solche Dinge erregen den Unmut der griechischen UND z.B. auch der deutschen Bevölkerung.

Gläubiger können von Griechenland die Begleichung der Schuld fordern. Kritisieren muss man allerdings 2 Dinge.
1. Die Gläubiger dürfen nicht ihre Ideologie über ale Länder stülpen. Das Land muss eine demokratische Freiheit haben, das zu tun, was aus ihrer Sicht notwendig ist. Die „Geldgeber“ diktieren aber ihre Ideologie, die die Binnenwirtschaft dort radikal abwürgt.
Auch hier ein Zitat von Flassbeck, weil er dazu im Moment einfach hervorragende fundierte Informationen veröffentlicht: Wer bisher nicht glauben wollte, dass die Gläubiger im Krisenfall den Schuldnern im Detail vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben, der hat jetzt die Gelegenheit zu lernen, dass Schuldner eigentlich keine Rechte mehr haben, sondern auf Gedeih und Verderb von den Gläubigern und deren Ideologien abhängen. Im Falle Griechenlands wird zur Zeit fast jedes Arbeitspapier veröffentlicht, so dass man sich selbst unmittelbar ein Bild von dem alltäglichen Irrsinn machen kann, der da hin- und hergeschoben wird.

Das vor dem 30.6.2015 „letzte“ Angebot der Gläubiger findet man hier

2. Griechenland wird niemals seine Schulden zurückzahlen können, selbst wenn sie noch so sparen oder einen starken Wirtschaftsaufschwung erleben sollten (welcher aber durch die Maßnahmen verhindert wird), weil sie überschuldet sind. Ohne entweder ein Investitionsprogramm für Griechenland oder eine Umschuldung hat das Land überhaupt keine Chance und die Forderungen der Gläubiger dienen nur noch dazu, das Land bis zur Grenze auszusaugen und die Überschreibung des öffentlichen Eigentums zu erzwingen.

Nach volkswirtschafltichem Verständnis müssten jetzt Schuldner UND Gläubiger in Verantwortung dafür genommen werden, dass die Handelsbilanzen ausgeglichen und die Schulden beglichen werden.

Die Frage ist nur: Ist die Eurogruppe überhaupt an einer Lösung interessiert, oder will sie ein Exempel an Griechenland statuieren, um die Bevölkerungen Portugals und Spaniens davor zu warnen, den griechischen Weg des Widerstands einzuschlagen? Ich fürchte inzwischen, dass es tatsächlich zum Austritt Griechenlands kommen wird. Da es dafür eigentlich gar keine Rechtsgrundlage gibt, wird spannend sein, wie das bewerkstelligt wird. Für Griechenland wäre das eine Katastrophe. Mit einer abgewerteten eigenen Währung würden die Schulden, die in Euro angehäuft wurden, noch weniger zu tragen sein.

Heute sind die Banken in Griechenland geschlossen. Wenn das Referendum dem Sparpaket zustimmt, wird das keine Lösung bringen. Immerhin entlastet sich die Regierung von dieser Entscheidung und kann so ihre Koalition aufrecht erhalten. Lehnt das Volk das Referendum ab, was dann? Dann müssten Konsequenzen folgen, doch in Konkurs gehen kann Griechenland nicht und ausschließen kann man es nach aktuellem Kenntnisstand auch nicht. Europa wurde ins Chaos gestürzt. Aber nicht in erster Linie von einer gewählten Regierung, sondern von Finanzinstituten, die keinerlei demokratische Legitimation haben.

Das führt uns zum

Filmtipp

Macht ohne Kontrolle – Die Troika | ARTE
Wer diesen Film gesehen hat, glaubt die aktuellen Darstellungen nicht. Laut interviewten Experten, darunter auch das zum Zeitpunkt der Entscheidung 2010 über den Nicht-Schuldenerlass beim IWF, Panagiotis Roumeliotis, wurde „Griechenland geopfert“, um das Bankensystem zu retten und allen Beteiligten war von Anfang an klar, was diese Entscheidung bedeutet. Siehe https://www.youtube.com/watch?v=F8OaBh6mYtI ab ca. Minute 10 und:

Geldgeber?

Da immer von Geldgebern die Rede ist, die mit Griechenland verhandeln, ist es an der Zeit, einmal zu reflektieren, ob das wirklich Geldgeber sind.

1. Geldgeber nehmen immer mehr Geld, als sie geben. Geldgeber klingt so gönnerhaft, tatsächlich aber haben immer dieselben Kreise danach mehr Vermögen als zuvor, sonst würden sie nicht „investieren“.

2. Die ursprünglichen Kreditgeber haben ihre Staatspapiere längst an IWF, EZB & Co. abgeschoben haben. Erst Risikoaufschläge kassieren und dann wenn das Risiko eintritt den Verlust zum Gemeineigentum machen, das hat leider funktioniert.

Vor Kurzem lag der Anteil privater Gläubiger Griechenlandes noch bei ca. 10%, durch das QE der EZB, mit dem Staatspapiere (zu überhöhten Preisen) aufgekauft werden, liegt der Anteil inzwischen wahrscheinlich bei 0%. Jetzt ist die Fiananzlobby egal, ob der Kredit platzt. Trotzdem kann die Erpressung der Staaten, sprich Erzwingung des Verkaufs des öffentlichen Eigentums und einer nachhaltigen weiteren Machtverschiebung zu ihren Gunsten, weiter gehen.

3. Über 90% der „Rettungsgelder“ flossen an Finanzinstitute, diese haben also mit öffentlichen Geldern ihre Vermögenswerte und Zinsempfänge gesichert. Heute ist Griechenland deutlich höher verschuldet, als vor der „Rettung“.

4. Geld entsteht spätestens seit Aufgabe der Metallbindung ausschließlich aus Kredit. Faktisch bedeutet das, dass es immer so viel Schulden wie Geldvermögen geben muss.
Systemisch gesehen hat es eine Machtverschiebeung gegeben, die die Staaten in zunehmende Verschuldung gezwungen hat und jemand anders hat dadurch mächtig an Vermögen zugelegt. Die jetzt Vermögenden nötigen Staaten und ihre Demokratien, sich ihren Maßnahmen zu unterwerfen. Wer meint, das endet bei Griechenland, ist naiv. Das Thema wird dank dem ESM die gesamte Eurozone betreffen, wenn man hier nicht endlich eine NACHHALTIGE Lösung wählt.

 

Nachtrag 10.7.15: Hier wurde nun der neue Vorschlag der griechischen Regierung veröffentlicht: Finanzmarktwelt

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About CU_Mayer

Über den Autor Nach Beginn im kaufmännischen Zweig studierte Dipl.-Ing. (FH) Christoph Ulrich Mayer, geboren 1968 in Krumbach (Schwaben), Nachrichtentechnik. Er arbeitete mehrere Jahre als Ingenieur und Projektleiter, bevor er sich 2001 mit Ingenieur-Dienstleistung, Unternehmensberatung & Coaching selbständig machte. Seit ca. 15 Jahren arbeitet er als Systemischer Coach. In dieser Zeit lernte er die unterschiedlichsten Denkweisen und Wertesysteme, auch anderer Kulturen, kennen und entwickelte somit einen Weitblick für gesellschaftliche Zusammenhänge. Durch die Beratungsarbeit in Unternehmen kennt er zudem viele Hintergründe, die die Wirtschaftsprozesse besser verstehbar machen. In jahrelanger intensiver Arbeit verfasste er das Buch "Goodbye Wahnsinn - vom Kapitulismus und Kommunismus zum menschenGerechten Wirtschaftssystem". Auf unorthodoxe Weise setzt er sich mit Lehren von Adam Smith bis Karl Marx und mit Sichtweisen von Norbert Blüm bis Sarah Wagenknecht auseinander. Sein Anliegen ist, mit seinen Erkenntnissen und Lösungen zu zeigen, dass wir eine bessere - eine nachhaltigere - Zukunft wählen können.

2 thoughts on “Exempel an Griechenland?

  1. CU_Mayer Post author

    Laut Spiegel sanken die Renten in Griechenland im Schnitt um 45%, die ärmsten Haushalte verloren 86% ihres Einkommens.
    http://www.spiegel.de/politik/ausland/griechenland-krise-alle-antworten-zur-krise-und-den-euro-folgen-a-1042694.html#sponfakt=6
    Das entspricht in Deutschland einem Harz IV-Satz von gut 50 Euro. Wer davon leben kann, soll die Hand heben.
    Solche Zahlen sind katastrophal für die Volkswirtschaft aber die „Geldgeber“ zwingen Griechenland dazu, genau diese Einkommen real weiter zu senken mit einer weiteren Rentenkürzung und Mehrwertsteuererhöhung, die die am meisten trifft, die 100% ihres Einkommens ausgeben müssen.

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  2. CU_Mayer Post author

    Ein weiterer Punkt klärt sich auf: Warum hat Syriza in Griechenland bisher keine Reformen durchs Parlament gepaukt? Laut Varoufakis, weil sie in eine Falle gelockt wurden:

    „Sie wollen eine umfassende Übereinkunft – okay, verhandeln wir weiter – aber in der Zwischenzeit bringen wir schon mal die Reformen ins Parlament, bei denen wir uns einig sind.
    Und sie sagten, „Nein, nein, nein, das muss eine umfassende Überprüfung sein. Nichts wird umgesetzt, wenn Sie es wagen, irgendwelche Gesetze auf den Weg zu bringen. Das wird als einseitige Handlung betrachtet werden, die sich feindselig gegen den Prozess richtet, zu einer Übereinkunft zu kommen.“ Und dann, einige Monate später, plaudern sie den Medien gegenüber aus, dass wir das Land nicht reformiert hätten, und dass wir Zeit vergeuden würden! Und so… [kichert] wurden wir in eine Falle gelockt.“ [ http://www.whos-saving-whom.org/index.php/de/8-german/207-varufakis ]

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